Als wir eingangs das systematische Umfeld des anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorbehalts betrachtet haben, hat sich gezeigt, daß im Anerkennungsrecht grundsätzlich die Nachprüfung des ausländischen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verboten ist (sog. »Verbot der révision au fond«), daß die Anerkennungshindernisse jedoch ausnahmsweise eine beschränkte Nachprüfung erlauben.
Zudem können die Anerkennungshindernisse auch als Voraussetzung dafür verstanden werden, daß im übrigen auf eine Überprüfung des ausländischen Urteils verzichtet wird. In diesem Sinn schreibt Rolf Schütze:
In der Literatur ist schon des öfteren angedeutet worden, daß es noch weitere Zusammenhänge zwischen dem Verbot der révision au fond und der Prüfung von Anerkennungshindernissen geben muß.
Würde man nämlich insbesondere im Rahmen des ordre public-Vorbehaltes zu weitgehend berücksichtigen, ob die ausländische Entscheidung inhaltlich »richtig« war, so paßte das mit dem allgemeinen Verbot der révision au fond schlecht zusammen. In diesem Sinn heißt es etwa bei Christian Völker:
In ähnlicher Weise ist bisweilen von einer »Gratwanderung« die Rede (Christine Eckstein-Puhl) oder gar von einer »Quadratur des Kreises« (Reinhold Geimer). Bereits Walter Jellinek hatte festgestellt:
Wie man die Grenze zwischen zulässiger ordre public-Kontrolle und unzulässiger révision au fond richtigerweise ziehen muß, ist bis heute ungeklärt.
Sicher scheint zu sein: Wendete man das Verbot der révision au fond auch im Rahmen der ordre public-Kontrolle uneingeschränkt an (stellte man also im Rahmen der ordre public-Kontrolle die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des ausländischen Gerichts nicht in Frage), dann hätte die ordre public-Kontrolle »keine Zähne«. So wäre eine Prozeßbetrugskontrolle im Zweitstaat von vornherein aussichtslos, wenn die Ergebnisse des Erstrichters unter keinen Umständen angezweifelt werden dürften.
Aus diesem Befund ziehen viele Autoren achselzuckend die Konsequenz, daß das Verbot der révision au fond im Rahmen der ordre public-Kontrolle wohl gar nicht berücksichtigt werden dürfe und daß Wertungswidersprüche ggf. in Kauf genommen werden müßten. In diesem Sinne schreibt Christine Eckstein-Puhl:
Es ist allerdings nicht zwingend, das Verbot der révision au fond bei der Auslegung von Anerkennungshindernissen »ganz oder gar nicht« zu berücksichtigen. Vielmehr hat Wolfgang Hau schon 1996 angedeutet, daß das Verbot der révision au fond bei der Auslegung von Anerkennungshindernissen als Wertungsmaßstab berücksichtigt werden kann und muß.
Folgt man diesem Ansatz, behält die zweitstaatliche ordre public-Kontrolle einerseits »Zähne«; andererseits findet sie so beschränkt statt, daß Wertungswidersprüche mit dem allgemeinen Verbot der révision au fond vermieden werden.
Dieser »dritte Weg« wird im Rahmen der Interessenabwägung näher erkundet.