Für die Abwägung der bisher beschriebenen Interessen ist von entscheidender Bedeutung, wieviel Rechtsschutz die Gerichte im Erststaat gewähren.
Das wird insbesondere deutlich, wenn die Notwendigkeit einer Kontrolle im Zweitstaat damit begründet wird, daß die Gerichte im Erststaat »übelwollend« sein könnten. Traut man den Gerichten im Erststaat in dieser Weise wenig zu, gerät man möglicherweise in Wertungswidersprüche zum allgemeinen Verbot der révision au fond.
Andererseits wäre es blauäugig, ohne weiteres anzunehmen, daß der Erststaat ausreichenden Rechtsschutz gewährt. Zwar argumentiert der Europäische Gerichtshof (EuGH) gerne mit der Gleichwertigkeit der Justiz in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, aber dieses »Vertrauensdogma« wird in der Literatur zu Recht bekämpft. So schreibt Peter Mankowski:
Daß der Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchaus nicht gleichwertig ist, betonen u. a. auch Christoph Althammer, Dagmar Coester-Waltjen, Jörg Gundel, Wolfgang Hau, Christian Kohler, Martin Löhnig, Thomas Rauscher, Karl August von Sachsen Gessaphe, Haimo Schack, Astrid Stadler und Rolf Wagner.
Um die Interessenabwägung zu entzerren, wird sie daher in zwei Schritten stattfinden.
In einem ersten Schritt wird angenommen, der Erststaat gewährleiste identischen Hauptsacherechtsschutz.
Unter anderem wird also vorausgesetzt, daß im Erststaat ein Rechtsbehelf existiert, der der deutschen Wiederaufnahmeklage entspricht.
Zudem wird angenommen, daß die Rechtsschutzmöglichkeiten im Erststaat nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch den Bedingungen in Deutschland entsprechen. Es wird also angenommen, daß die Richter im Erststaat ebenso kompetent wie deutsche Richter sind – und daß sie unvoreingenommen und nicht etwa »übelwollend« sind.
Legt man diese Annahmen zugrunde, lassen sich viele Gesichtspunkte zur Präklusionsfrage zwingend gegeneinander abwägen.
In einem zweiten Schritt wird dann die Prämisse des »identischen Hauptsacherechtsschutzes« in Frage gestellt. Es wird also berücksichtigt, daß die Justiz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (und erst recht die Justiz in allen Staaten der Erde) in Wahrheit nicht gleichwertig ist.
Dabei wird sich zeigen, daß die Gefahr eines schlechten Rechtsschutzes im Erststaat nur in bestimmten Grenzen berücksichtigt werden darf, will man Wertungswidersprüche mit dem allgemeinen Verbot der révision au fond vermeiden.