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Teil 15

Debatte über die Abschaffung des ordre public-​Vorbehaltes

Aktivitäten des europäischen Gesetzgebers

Auf europäischer Ebene sind in letzter Zeit ein paar Verordnungen ergangen, die unter bestimmten Umständen eine ordre public-Kontrolle im Zweitstaat unmöglich machen.

Damit nicht genug: Letzlich ist auf europäischer Ebene geplant, das Verfahren der Vollstreckbarerklärung (»Exequaturverfahren«) insgesamt abzuschaffen – und damit auch die Möglichkeit einer ordre public-Kontrolle im Zweitstaat.

Debatte

Gegner der EuVTVO

Bereits der erste Schritt auf dem Weg zur Abschaffung des Exequaturverfahrens – die EuVTVO – ist in der Literatur vielerorts auf vehemente Kritik gestoßen. So schreibt Peter Mankowski:

»Prozessbetrug und Korruption im Erststaat drohen europaweit durchzuschlagen.«

Ähnliche Kritik äußern u. a. Dagmar Coester-Waltjen, Haimo Schack und Astrid Stadler.

Außerdem wird dem Europäischen Vollstreckungstitel entgegengehalten, daß er eine erhebliche Einlassungslast für die beklagte Partei zur Folge habe, weil sich diese im Erststaat einlassen müsse.

Zu Nachweisen vgl. Randnummer 928 der Dissertation.

Befürworter der EuVTVO

Andere Stimmen hingegen begrüßen die EuVTVO als einen Schritt zu mehr Titelfreizügigkeit. So meint etwa Rainer Hüsstege, in der EuVTVO bedürfe es keines ordre public-Vorbehaltes, weil das

»hieße, den Schuldnerschutz zu überspannen und den Gläubigerschutz zu vernachlässigen.«

Zudem argumentieren Andreas Stein und Jan Kropholler, daß der ordre public-Vorbehalt nur in seltenen Fällen gebraucht werde und daß sich »[d]as Gesamtkonzept der EuVTVO [...] in der überwältigenden Mehrzahl der Anwendungsfälle bewähren« dürfte.

Zu Nachweisen vgl. Fußnoten 54 und 55 in Randnummer 929 der Dissertation.

Stellungnahme

In dieser Debatte finden sich auf beiden Seiten falsche Argumente.

Falsche Argumente der Gegner der EuVTVO

Zum einen scheinen viele Gegner des Europäischen Vollstreckungstitels zu verkennen, daß der ordre public-Vorbehalt mitnichten dazu eingesetzt werden darf, umfassende Prozeßbetrugskontrollen im Zweitstaat durchzuführen. Nach dem hier hergeleiteten restriktiven Präklusionsmodell kommt der Einwand des Prozeßbetrugs tatsächlich nur in sehr seltenen Fällen zum Tragen.

Auch der Hinweis auf die »erhebliche Einlassungslast«, die der Europäische Vollstreckungstitel für die beklagte Partei mit sich bringt, ist kein schlagkräftiges Gegenargument. Vielmehr hat sich im Rahmen der Interessenabwägung herausgestellt, daß jede Urteilskontrolle mit Einlassungszwang verbunden ist und daß es der Zuständigkeitsgerechtigkeit entspricht, wenn Verfahren im Erststaat wiederaufgerollt werden.

Falsche Argumente der Befürworter der EuVTVO

Andererseits werden auch zu Gunsten der EuVTVO Argumente vorgebracht, die einer näheren Prüfung nicht standhalten.

Schwer nachvollziehbar ist die pauschale Behauptung, durch die Beibehaltung des ordre public-Vorbehaltes würde der Schuldnerschutz überspannt und der Gläubigerschutz vernachlässigt: Vielmehr hat die interessengerechte, restriktive Anwendung des ordre public-Vorbehaltes definitionsgemäß keine Überspannung des Schuldnerschutzes zur Folge.

Wenig überzeugend ist auch der Hinweis darauf, daß der ordre public-Vorbehalt nur selten gebraucht werde. Astrid Stadler schreibt treffend:

»Seitens der Kommission wird immer wieder auf die geringe praktische Relevanz des Ordre Public als Anerkennungsversagungsgrund hingewiesen. Dies ist zutreffend – zum Glück, möchte man sagen! Gleichwohl kann der Hinweis das Argument nicht entkräften, dass man den Ordre Public gerade als ›Notbremse‹ zwar nur gelegentlich, aber eben doch benötigt.«

Neuausrichtung der Diskussion

Um beim Bild der Notbremse zu bleiben: In der Diskussion über die Beibehaltung oder die Abschaffung des ordre public-Vorbehaltes streiten zwei Lager, von denen das eine die »Notbremse des ordre public« exzessiv einsetzen möchte und das andere diese Notbremse komplett abschaffen will.

Beide Positionen sind unausgegoren. Einerseits hat sich am Beispiel des Prozeßbetrugseinwandes gezeigt, daß der ordre public-Vorbehalt vielerorts noch zu häufig zum Einsatz kommt. Andererseits würde es den durchschnittlichen Fahrgast wundern, wenn in Eisenbahnen die Notbremsen mit der beschwichtigenden Begründung ausgebaut würden, diese Notbremsen würden nur sehr selten gebraucht.

Die Lösung liegt in der Erkenntnis, daß es nicht nötig ist, sich zwischen zwei Übeln zu entscheiden. Wir müssen nicht

Vielmehr »reicht es aus« – und ist es vorzugswürdig –, den ordre public-Vorbehalt beizubehalten und interessengerecht anzuwenden. Genau dazu will die hier vorgestellte Dissertation einen Beitrag leisten.

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© 2008–2011 • Ekkehard Regen